Editorial 4/2019
Vom freien Arzt zum eHealth-Worker
Sehr geehrter Patient, liebe Kollegin, geschätzter Diverser und Unbestimmter? So oder ähnlich könnten ab Oktober 2019 ärztliche Briefe und Befunde beginnen, wenn wir die Bestimmungen beachten, die unsere kassenärztliche Verwaltung (KBV) beschlossen hat.
Damit hier keine Märchen ins Feld geführt werden, bitte ich Sie, sich die Bestimmung im Original durchzulesen: www.tinyurl.com/divers-im-ebm.
Während die neuen Formulare der KBV entsprechende Kästchen enthalten, findet sich im grundlegenden Urteil des Bundesgerichtshofs ein Passus, der es alternativ gestattet, auch die Angabe des Geschlechts zu vermeiden. Name und Geburtsdatum würden ausreichen, einen Menschen hinreichend zu kennzeichnen. Gelobt sei diese Erkenntnis unserer Juristen. Anstatt Millionen in neue Vordrucke und Programmierung zu investieren, hätte unsere Verwaltung vielleicht sinnvollerweise einmal das Originalurteil lesen sollen und so gemerkt, dass es mit weniger Aufwand viel besser geht: einfach weglassen!
Ich persönlich – wäre ich betroffen – würde mir ohnehin wünschen, diese Thematik nur auf eigenen Wunsch direkt beim behandelnden Kollegen anzusprechen, wenn ich nun möchte, dass alle Beteiligten im Gesundheitswesen wissen, dass ich eben doch nicht so bin wie ich vielleicht aussehe.
In der praktizierten Rechtschreibung gibt es mittlerweile übrigens auch die Schreibweise „die Student*innen“ und diese inkludiert alle Geschlechter. Als ob wir sonst keine Probleme hätten …
Spahn’sche Gesetzgebungsflut
Unser hochaktives Gesundheitsministerium hat uns vor der Sommerpause mit vielen neuen gesetzgeberischen Initiativen besonders in Richtung Digitalisierung erfreut. Die wenigsten sind leider voll durchdacht. Die Umsetzung durch KBV und Kassen lassen erkennen, wie viel bürokratisches Denken und wie wenig kritische Reflexion hinter den Bemühungen steckt. Statt Prozesse inhaltlich neu zu definieren, werden alte Bürokratismen möglichst kostenneutral in EDV umgestrickt. Gerade da sollte die Selbstverwaltung aktiv mit praktikablen Vorschlägen gegenwirken!
Hierzu müsste das Ministerium eigentlich einmal eine schöpferische Ruhephase einlegen und sich überlegen, wie Ärzte vier oder mehr verschiedene Arten von Sprechstunden bei mindestens 25 Stunden (!) in der Praxis umsetzen sollen: Freie fünf Stunden, Überweisung durch Terminservicestelle (TSS), Anruf mit Anmeldung von Patienten durch Hausarzt, neuer Patient (das heißt zwei Jahre nicht in Praxis gewesen) et cetera. Wo bleiben die Chroniker und die Schwachen? Wie kann man seinen Praxisablauf vor Chaos schützen?
Bei Kassenzulassung wird das Praxismanagement immer komplizierter. Es ist eine hohe Kunst, gesetzeskonform mit den Kollegen oder der TSS zu kommunizieren. All dies führt nur zu zusätzlichen Kosten und absorbiert wichtige Personalpower in der direkten Patientenversorgung. Profiteure sind Praxis- und Klinikketten, nicht die freie Praxis.
Gemeinerweise werden die vermeintlich extrabudgetären Vergütungen nach einem Jahr mehrheitlich mit dem eigenen Budget verrechnet. Der frühe Vogel tut sich also keinen Gefallen. Wo bleibt der Arzt als Freiberufler? Versteckt er sich zukünftig ausschließlich in der Privatpraxis, verschont von der Spahn’schen Gesetzgebungsflut!? Die Frage lautet dann: Trägt sich die reine Privatpraxis? Hier hat mancher Dermatologe seine Chance. Das Angebot muss stimmen. Andere Kollegen reden von Rente oder Auslandstätigkeit. Die Ärzte hier wehren sich ja nicht?! Grundgesetzlich verbriefte Freiberuflichkeit ade!
Informatiker und IT sollen scheinbaren Fortschritt in die Kommunikation zwischen Arzt und Patient bringen und alles digitalisieren. Künstliche Intelligenz und Big Data sollen Probleme lösen und die Forschung mit Patientendaten antreiben. Sollen! Ob sie gerade in Bezug auf den Datenschutz nicht wiederum viele neue Probleme schaffen, ist abzuwarten. Das geplante zentrale Forschungsdatenzentrum lässt Gedanken an Big Brother aufkommen. Wer die Daten hat, hat die Macht und den Mehrwert unserer ärztlichen Arbeit. Hier heißt es aufpassen!
Der Arzt ist auf Originale und verlässliche Informationen angewiesen. Er kann mit Handys voller Krankengeschichten und Gesundheits-Apps nichts anfangen, zudem wenn er nicht weiß, ob die Daten verlässlich sind. Nichts gegen die temporäre Fallakte, aber eine sogenannte Gesundheitsakte generell offenbart die Schwächen des gesamten Systems:
- Erstens bin ich dank Zeitfaktor überhaupt nicht in der Lage die gesamte Akte durchzulesen,
- zweitens auch nicht auszufüllen (Sekretariatskurs ging an mir vorbei),
- drittens sind bisher für diesen Vorgang keinerlei Geldmittel vorgesehen und
- viertens wird erreicht, dass nunmehr viele EDV-Firmen glauben, sie müssten nun ein digitales Budget beanspruchen, am besten aus unserem Topf und dank GKV-geprüften und finanzierten Apps auf eRezept gegen die eUnterschrift des Herrn Doktor. Wer haftet wofür? Bislang absolut ungeklärt!
Es fehlt ein Gesamtkonzept und eine einheitliche DIN-genormte, User-freundliche Benutzeroberfläche in allen Praxisverwaltungssystemen, damit zum Beispiel auch Vertretungen schnell mit den Systemen arbeiten können. Workflow, Effizienz, Zuverlässigkeit und exzellenter Service der Praxis-IT sind oft Fremdwörter.
Wenn in wenigen Jahren dank der Stilllegung der Kohle- und Kernkraftwerke sowie Windstille mit Nebel nur noch bei Gelegenheit Strom aus der Steckdose kommt, wird es erst richtig interessant. Insofern spricht vieles dafür, zunächst einmal die Karteikarte in der Rückhand zu behalten. Dies sehe ich natürlich eher für den Basisversorgungsbereich, für die Kliniken sind eventuell andere Methoden und Möglichkeiten vorrangig. Dort gibt es meist auch eine Notstromversorgung und die entsprechenden Experten. Allerdings brauchten die DRK-Kliniken im Saarland und Rheinland-Pfalz jüngst über eine Woche, bis nach einem Hackangriff wenigstens die Notfallversorgung wieder lief. Man stelle sich so ein Szenario verbreitet über die IT und das gesamte Bundesgebiet vor!
Ruhepause bei der Bundesgartenschau
Was tut man, wenn einen dieser ganze Medizinbetrieb irgendwann im Hochsommer langsam aber sicher erwürgt und die weltweite CO2-Bilanz der EDV generell die des Flugverkehrs bereits um das Doppelte übertrifft, es aber niemanden und schon gar nicht die Grünen interessiert?
Meine Empfehlung dieses Jahr ist ein Besuch bei der originalgrünen Bundesgartenschau in Heilbronn, wo in wunderbarer Weise Natur und Harmonie für 173 Tage verwoben werden. Bereits zur Halbzeit haben über eine Million Menschen diesen kleinen Garten Eden besucht. Ich kann Ihnen nur empfehlen einmal einen Tag oder auch ein ganzes Wochenende dafür einzuplanen. Ich habe mittlerweile schon siebenmal eine Ruhepause dort eingelegt. Nicht versäumen sollten Sie die Wasserspiele, bei denen allabendlich von Donnerstag bis Samstag eine phantastische lasergesteuerte Farbenshow in einen Wasservorhang projiziert wird. Die Fotoliebhaber unter Ihnen werden mir zustimmen, wenn ich sage, diese Motive muss man eingefangen haben. Damit Sie meine Eindrücke etwas nachvollziehen können, werfen Sie zur nachhaltigen Motivation einen Blick auf das Foto auf Seite 3. Da kommt man auf andere Gedanken!
Ich darf mich in diesem Sinne für die gute Kooperation in der ADK und die vielen Neumitglieder herzlich bedanken. Der Zuwachs zeugt davon, dass die Themen unseres Verbandes nach wie vor hochaktuell sind. Wir arbeiten an neuen Weiterbildungskonzepten und werden Sie in einer der nächsten Ausgaben ausführlich damit bekannt machen. Abschließend möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass junge Kollegen in Weiterbildung keine Mitgliedsgebühr bei der ADK bezahlen müssen und sich umso mehr ein Beitritt lohnt.
Einen wunderschönen Sommer wünscht Ihnen
Dr. Matthias Herbst
PS: Bitte beachten Sie auf Seite 48 den Nachruf auf den Mitbegründer der ADK Prof. Dr. Hagen Tronnier, der uns in diesen Tagen erreichte. Der Vorstand verneigt sich vor dem Lebenswerk dieses bedeutenden Dermatologen und zollt ihm Andenken und Respekt!
Spezielle Informationen für Laien zum Thema Haut, Hautpflege und Kosmetik
ästhetische dermatologie & kosmetologie 5/2024
Themenschwerpunkte aus allen Bereichen der ästhetischen Dermatologie