Editorial 3/2018
Moderne Zeiten erfordern Aus- und Weiterbildung auf allen Ebenen
Kaum ist die EU-Datenschutzgrundverordnung in die Praxen eingezogen, geht es weiter mit dem Ausbau der Telematikinfrastruktur (TI). Man kann nur empfehlen, alle Kosten der Praxis-EDV inklusive der Wartung genau zu erfassen. Denn die dauerhafte Finanzierung ist nicht geregelt und auch in dieser Legislaturperiode ist, außer einer politisch gewollten Aufstockung unserer Arbeit am Kassenpatienten auf 25 Stunden, keine Erhöhung zu erkennen – weder des Punktwertes im Regelleistungsvolumen noch der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Ich sehe keinen Grund, ohne Entgegenkommen der Politik einen Anschluss an die TI zu erwägen. Analysiere ich die Bruchlandung bei der Einrichtung der Gerichtspostfächer der Juristen, kann man infolge des Fehlens größerer Feldstudien vor voreiligen Schritten nur warnen. Der Berliner Flughafen war sicher nur der Auftakt der Demonstration staatlichen Unvermögens insbesondere im strategischen und organisatorischen Bereich, gerade auch bei der IT. Also: Nichts geben, wofür man Nichts bekommt!
Kürzlich verschlug es mich wegen einer Virusgrippe in die Notaufnahme eines bekannten Klinikums. Es war nicht das Engagement der anwesenden Ärzte beziehungsweise Schwestern, dass mich erstaunte, sondern die Grundfertigkeiten, die offensichtlich bei aller Spezialisierung auf der Strecke geblieben waren. Von den mangelnden Fähigkeiten, einen Zugang zu legen wie auch ein entsprechendes elektronisches Thermometer zu finden bzw. zu bedienen, wollen wir gar nicht erst reden. Es war der Umgang mit Diagnosen und die Ansprache seitens des Assistenzarztes, die mich aufwühlte: „Wenn Sie diesen oder jenen Eingriff nicht durchführen lassen, droht ihnen der Tod.“ Nun, es stimmte weder die Verdachtsdiagnose noch die vorgeschlagenen diagnostischen Maßnahmen. Aber was soll man tun, wenn man 41,7 °C Temperatur hat und sich nicht mehr richtig artikulieren kann? „Es handelt sich hier um einen Notfall und da bestimme ich“, meinte der behandelnde Assistenzarzt schließlich. Seinen Chef habe ich leider nie gesehen und einen anderen Facharzt auch nicht. So entließ ich mich schließlich zu später Stunde selbst aus der Behandlung und vertraute auf meine eigenen Fähigkeiten. Ohne eine fiebersenkende Substanz hätte das allerdings nicht funktioniert. Berufserfahrung wird immer wichtiger!
Vier Wochen später sitze ich am Steuer meines Autos. Von links her schert ein Pkw auf meine Spur aus und ich versuche eine Schnellbremsung einzuleiten. Parallel versagen Abstandsradar, ABS und das Steuergerät der Luftfederung. Nur mit akrobatischen Fähigkeiten und viel Erfahrung gelingt es mir, meinen Wagen vor dem Aufprall und einem Ausbrechen mit Überschlag zu bewahren. In der Werkstatt empfiehlt man, ich möge zuwarten und darauf vertrauen, dass das Problem nicht wieder auftritt. Falls ja, solle ich mich doch nochmals vorstellen.
Ich insistiere und suche eine offizielle Niederlassung der Firma auf. Dort habe ich ein gutes Verhältnis zur Werkstatt und bleibe vorsichtshalber bei der Fehlersuche dabei. Das Diagnosesystem zeigt nun interne Fehler an und ich stimme zu, dass zunächst einmal die Entwicklungsabteilung der Firma befragt wird, wo der Fehler genau liegen kann. Es dauert vier Tage und dann kommt jeweils ein Software-Update für die drei Steuergeräte. Jedes wird aufgespielt und der Wagen übergeben. Ich frage mich: Passt nun das neue Update aus der Entwicklungsabteilung zum bereits vorhandenen Bestand an Software, insbesondere der zentralen Steuereinheit meines Wagens? Eine Rückfrage bei meinem Cousin, einst ebenfalls bei dieser Firma in der Entwicklung tätig, erbringt Folgendes: Er rät dazu, mindestens dreimal auf freier Strecke eine Notbremsung zu machen, um zu eruieren, ob nunmehr eine Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems hergestellt sei. Die Interaktion verschiedener nicht abgestimmter Softwaresysteme sei stets eine mögliche Fehlerquelle. Aha, also mehr Erfahrung auch hier dringend notwendig!
Nun kennen wir derartige Probleme auch aus unserer Praxis-EDV und generell im Gesundheitswesen. Stets erreichen uns neue Updates: Haben Sie schon mal eine Rückkopplung bekommen von ihrer KV – dass ein Update so fehlerhaft war, dass die Abrechnung deshalb inhaltlich falsch war und korrigiert werden musste? Ich denke, ich liege nicht falsch, wenn ich behaupte, wir würden es außer bei groben Schnitzern gar nicht merken. Individuelle Gesundheitsleistung und GOÄ – da frage ich lieber nicht. Die Systeme wie auch die Abrechnungsordnung sind mittlerweile derart kompliziert, dass nicht nur die Service-Provider große Schwierigkeiten haben, die Praxis-EDV-Updates gerecht zu fahren. Die Erprobung der TI sollte im Echtzeitbetrieb und Betriebssystemupdates systemgerecht erfolgen. Größere Testläufe, zum Beispiel in Bundeslandumfang als Testregion, sind bisher ungenügend erfolgt. Mahnen sollte uns die Erfahrung der Juristen, deren elektronische Postfächer, wie bereits erwähnt, seit 1. Januar funktionieren sollten, dies aber nicht tun. Ihr Betrieb wird dem Vernehmen nach aber aufgrund diverser Probleme nicht mehr zu erwarten sein. Investitionen im mehrfacher Millionenhöhe seien in den Wind zu schreiben.
Was lernen wir aus alledem?
Ohne eine effiziente und funktionierende Grundstruktur kann ein kompliziertes System wie das Gesundheitswesen nicht funktionieren, gerade beim Einsatz neuer Techniken und Einbau in die Regelversorgung. Es ist Aufgabe der Experten, hier sinnvolle und funktionierende Vorschläge zu machen. Diese sollten in einzelnen Regionen entsprechend ausgetestet werden.
Die Einführung der europäischen Datenschutzgrundverordnung im Gesundheitswesen war ein Musterbeispiel, wie in letzter Minute unsere Vertretungen angefangen haben, entsprechende Informationen an die Mitglieder weiterzugeben. Stattdessen wäre es sehr viel sinnvoller gewesen, vorab dafür zu sorgen, dass klare Vorgaben für die Ärzteschaft und die anderen Akteure im Gesundheitswesen erfolgen, und nicht ein Schwall von Paperworks das Ergebnis der scheinbaren Neuordnung ist. Wir sind uns darüber im Klaren, dass die wahren Probleme wie die Frage der Systemsicherheit und des Schutzes der persönlichen Information im World Wide Web weiter existieren. Gerade das letzte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema Zugang zum Internetknoten Frankfurt zeigt, dass neben Datenverkehr auch Telefongespräche dank Voice-over-IP in Deutschland jederzeit mitgeschnitten werden dürfen. Wir sollten daher auch im Umgang mit wichtigen Informationen weiterhin stets auf das persönliche Gespräch verweisen können und dürfen und allen Verlockungen der Telemedizin widerstehen. Im Übrigen: Welche Software ist wirklich Workflow-orientiert und preiswürdig?
Die Kompetenz einer medizinischen Fachgesellschaft kann es nicht sein, auf allen derartigen Spielfeldern zu Hause zu sein. Es erfordert aber immer einen Mensch/Arzt, der die Tätigkeit der Maschinen und der EDV verstehen und überwachen muss. Künstliche Intelligenz und Big Data müssen transparent und überschaubar sein, die Algorithmen dahinter an neutraler Stelle hinterlegt und dokumentiert sein. Gegebenenfalls muss der Arzt eingreifen können. Es ist eher ein Zufall, dass sich der Autor dieser Zeilen im Telematikausschuss einer Landesärztekammer mit diesen Themen beschäftigt und schaut, wo thematische Verknüpfungen zu unserem Fachgebiet bestehen und diese kritisch hinterfragt. Das soll nicht davon ablenken, dass sich die Arbeitsgemeinschaft Ästhetische Dermatologie & Kosmetologie (ADK) e. V. insbesondere der Aus- und Weiterbildung im Bereich von Prävention und Ästhetik verschrieben hat. Dazu veranstalten wir ein Seminar während der Fortbildungswoche für praktische Dermatologie in München (27.7.2018, Saal 12) sowie wieder unseren Grundkurs unter der Leitung unserer Vorsitzenden Frau Prof. Dr. Claudia Borelli im Oktober in Tübingen (12.–13.10.2018, Universitäts-Hautklinik Tübingen). Beide Male werden auch kritische Themen angesprochen und gemeinsam diskutiert. Was mir persönlich am Herzen liegt, ist auch die Aus- und Weiterbildung unserer angestellten nicht ärztlichen Mitarbeiter. Gibt es ja mit der Schwestergesellschaft, der Arbeitsgemeinschaft Ästhetik und Dermatologische Institute (AADI) e. V., bereits eine Organisation, die sich insbesondere auch dem Management der Ästhetik in der Praxis und im Institut verschrieben hat. In der Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten spielt die Dermatologie bis heute kaum eine Rolle, vom Management einer spezialisierten Facharztpraxis ganz zu schweigen. Vielleicht sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, ob eine spezialisierte ästhetische Weiterbildung für qualifizierte medizinische Fachangestellte sinnvoll ist. Insbesondere in fachlicher Hinsicht könnte sich die ADK hier mit einbringen. Ein weiterer Punkt ist die Darstellung der Breite unseres Faches und die aktuellen Innovationen. Hier ist der Beirat nun aufgefordert, zukünftig einmal im Jahr quasi ein Update in der Mitgliederzeitschrift für das jeweilige Spezialgebiet zu geben. Die Einzelheiten wollen wir bei unserer Mitgliederversammlung in München festlegen. Jedes Mitglied ist herzlich eingeladen, nicht nur passiv unseren Vorträgen zu lauschen, sondern sich auch aktiv schon jetzt vorab durch Vorschläge und Ideen einzubringen. Besonders begeistert es uns, wenn junge und aktive Kollegen bei der ADK anklopfen. Ich weise bei der Gelegenheit nochmals darauf hin, dass Weiterbildungsassistenten zurzeit vom Mitgliedsbeitrag freigestellt sind.
Ich freue mich auf ein Wiedersehen in München, grüße herzlich vom gesamten Vorstand der ADK und wünsche Ihnen eine gute Anreise.
Nach all meinen Erlebnissen bleibt mir zuletzt nur noch ein Wunsch: Bleiben Sie gesund – trotz aller Technik und EDV.
Beste Wünsche aus den modernen Zeiten!
Herzlich Ihr
Dr. Matthias Herbst
ästhetische dermatologie & kosmetologie 5/2024
Themenschwerpunkte aus allen Bereichen der ästhetischen Dermatologie